Ja, ich weiß. Sie hassen Ihre Mails. Zu viel, zu lang, zu nervig, beschweren Sie sich beim Feierabendbier. "Wer braucht noch E-Mails?" rufen Sie, und Ihre Kolleginnen nicken zustimmend. So isses!

Wer mag schon E-Mails? Für den Hass auf Kapitalismus oder Kürbissuppe muss man sich rechtfertigen. Der bedingungslose Hass auf die E-Mail bleibt unwidersprochen.

Und ich verstehe Sie ja.

Ein Blick in mein Mail-Archiv verrät mir, dass santeri.petrell@shareit.fi von Bloxcar mir sagen will, dass das finnische AirBnB für Autos irgendwas crowdfunded. Die Unternehmenskommunikation meines Arbeitgebers lädt mich zu irgendetwas ein, unser Chef vom Dienst erinnert an die anstehende Konferenz. Irgendwer im Verlag würde gern ein TOUGH MUDDER CLASSIC TICKET am 13.07. loswerden. Jemand Interesse? 

Sie wollen einfach nur abliefern. Aber dann kommt, ping, eine Mail

Natürlich nicht, werden Sie sagen, NATÜRLICH NICHT! Sie wollen kein TOUGH MUDDER CLASSIC TICKET, Sie wollen auch diese Mail nicht sehen, Sie wollen einfach Ihre Ruhe. Nur so, denken Sie, können Sie die mit den schlausten Bemerkungen in Meetings sein, der Kollege mit den immerpünktlichen Abgaben. Nur so zaubern Sie abends was Leckeres auf den Tisch, nur so bleiben die Kinder gesund. 

Sie wollen arbeits- und lebensmäßig einfach nur abliefern. Aber dann kommt, ping, eine ungelesene Mail rein.

Die Kostenverwaltung schon wieder wegen der dummen Abrechnung? Moment, das geht doch ganz – ping – ah, endlich die Buchung für die nächste Dienstreise, da muss ich nur kurz, ping, 50 ungelesene Mails, Schatz, schau mal, was hältst du von den Flügen wegen Sommerurlaub?, ping, 100, VIAGRA, ping, 1.000, more Penis now, ping, hab ich dich CC genommen, haste gesehen? PING!

Dann ist es 18:30 Uhr, Sie wischen sich noch in der Bahn in Richtung des Bodens Ihres Posteingangs, der doch irgendwo da unten existieren muss, holen auf dem Weg doch wieder was von Asia Quick, zu Hause quengeln die Kinder und im ZDF läuft der Bergdoktor

Ach, E-Mail. 

Heute vor 35 Jahren ist die erste Mail in Deutschland versandt worden und hätte der Absender damals gewusst, dass es einmal so enden würde, vielleicht hätte er sie nie verschickt.

Die Mail ist das letzte freundliche Gesicht des Internets

Dabei ist die E-Mail eines der besten Dinge, die uns als Menschheit so passieren konnte. Und gerade zu einer Zeit, in der bei den Schlagworten Facebook-Skandal und Datendiebstahl keiner mehr weiß, welcher der letzten 184 nun gemeint ist, ist die Mail das letzte freundliche Gesicht des Internets.

Sie müssen Sie nur lieben lernen. 

Erstens ist E-Mail einfach. Mails checkt echt jeder. "Das ist wie Post, nur im Internet": Zackfeddich, E-Mail erklärt. Omas verschicken Mails, sogar die Mutti, die digital echt keinem traut, verschickt Mails. Klar, besonders sicher ist es nicht, aber hey, Omas Urlaubsbilder aus Borkum sehen oder nicht sehen? Eben. 

Zweitens: E-Mail geht mit allem. Sie läuft auf Ihrem Aldi-Laptop von vorvorgestern, dem neuen iPhone von Mama und wenn's sein muss wahrscheinlich auch auf Ihrem smarten Kühlschrank (tun Sie's nicht).

Drittens: E-Mail läuft, wo und wie Sie wollen. Wenn sie auf Facebook klicken wollen, müssen Sie die Facebook-App benutzen. Für WhatsApp brauchen Sie WhatsApp, und wenn Sie den Schwarm Ihrer Tochter auf Instagram stalken wollen, brauchen Sie ein Handy, dass die Instagram-App installieren kann. 

Ihre E-Mails können Sie in Dutzenden Apps lesen. Sie können Sie in jedem Webbrowser auf der Welt ignorieren, Sie können Ihren eigenen E-Mail-Server betreiben, wenn Sie keine Lust auf Google haben. Und trotzdem mit jedem schreiben, egal ob Googlemail, Web.de oder GMX.net. Sie können Ihre Mails automatisch weiterleiten, löschen, gruppieren, filtern, ausdrucken und schreddern. Versuchen Sie das mal mit Ihren WhatsApp-Nachrichten. 

Und, viertens: E-Mail ist immer für Sie da. E-Mail ist nie down, Buchungsbestätigungen kommen per Mail, Jobzusagen und – wenn Sie Glück haben – auch Liebesmails. Wenn Sie online irgendwie erreichbar sein wollen, hinterlassen Sie Ihre Mail-Adresse. Sie loggt Sie ein, Sie ist das Archiv unseres digitalen Lebens. Wenn Facebook pleite ist, kriegen Sie eine Mail.

Das Problem ist nicht die Mail. Das Problem sind Sie

Googles inoffizielles Motto war mal "Don't be evil". E-Mail dagegen kann gar nicht evil sein, E-Mail ist einfach nur da. Hätte es ein Motto, wäre es "Mach doch, was du willst". Ist das nicht nett?

Das Problem sind also nicht Ihre Mails. Das Problem sind Sie, sind wir alle.

Wir verschicken noch schnell die Mail an den Kollegen, nehmen die Kollegin ins CC. Wir fragen unseren Schatz, was er von den Flügen hält, die wir rausgesucht haben. Wir abonnieren ein Dutzend Newsletter, weil wir gern die Person wären, die ein Dutzend Newsletter liest. Wir hinterlassen unsere Mailadresse bei Onlinehändlern für fünf Prozent Rabatt im Austausch für nie mehr endenden Stuss, den wir nie wollten und nie wollen werden. Wir sagen: Schick mir schnell ne Mail und laden 18 weitere Apps auf unser Handy, mit denen wir kommunizieren, um keine Mails verschicken zu müssen. Und die E-Mail soll schuld sein, dass wir uns nicht konzentrieren können? Ich bitte Sie.

Dabei kann es so einfach sein, Ihre Mails zu lieben. So wie Sie Ihre Blumen gießen und den Sauerteig im Kühlschrank füttern, so müssen Sie auch Ihre Mails sehen. Ihre Mails sind der Spiegel Ihres digitalen Selbst. Herrscht im Posteingang Chaos, sind auch Sie nicht aufgeräumt.

Machen Sie Schluss mit dem "Ping, ping, ping"

Deshalb: Suchen Sie sich ein Mailprogramm, dass Sie glücklich macht. Eines, das schön aussieht und Sie froh macht, wenn Sie es öffnen. Schalten Sie alle Benachrichtigungen auf allen Geräten aus, damit mit dem "Ping, ping, ping" Schluss ist.

Dann filtern Sie alle Mails heraus, bei denen Sie nicht explizit im Empfängerfeld stehen. Ihr IT-Support, Ihre Tochter oder Ihre technikaffine Kollegin helfen Ihnen dabei. Zwar ungern, aber wen stört das, wenn Ihr Glück davon abhängt? Anschließend gewöhnen Sie sich an, Mails zu beantworten wie Ihre Chefin: In einem Satz oder weniger. Meist reicht auch mal ein :), ein "ok" oder ein Daumen nach oben.

Und: Öffnen Sie Ihr Mailprogramm nur dreimal am Tag. Einmal morgens, einmal mittags und einmal abends, kurz vor Feierabend.

Können Sie nicht? Sie sind zu wichtig, müssen immer erreichbar sein? Sie dürfen die eine Mail aus dem Controlling auf gar keinen Fall verpassen? Natürlich, das kann sein, wir kennen uns ja kaum. Aber wenn es wirklich wichtig ist, ruft in der Regel jemand an. Oder würden Sie in einem Notfall eine Mail verschicken? Eben.

Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Fassung des Texts hatten wir behauptet, die erste E-Mail Deutschlands sei heute vor 30 Jahren empfangen worden. Das stimmt nicht. Es war am 3. August 1984, also vor 35 Jahren. Wir haben das korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.